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  • AutorenbildJohanna

Die Sportsucht und ich

Aktualisiert: 4. Okt. 2023

Hey!

Schön, dass Du dich für diesen Beitrag entschieden hast.

Heute möchte ich dir von meiner Sportsucht und der damit verbundenen Essstörung erzählen.


Zwei Jahre habe ich mit ihr gelebt und sie nicht als belastend empfunden. Aber eigentlich war sie sogar gefährlich.

Ich erzähle dir davon, weil ich der Meinung bin, dass viel mehr über verschiedene Ausprägungen von verzerrter Selbstwahrnehmung und "Essstörungen" geredet werden sollte.

Es kann jedem passieren und es passiert einfach so. Man selbst merkt es nicht. Ich möchte mit meiner Geschichte aufklären, inspirieren und sensibilisieren.


Alle Süchte haben eine Ursache und in diesem Beitrag erfährst Du die Geschichte zu meiner.


Über diese Zeit schreibe ich hier das Erste mal ausführlich. Wie ich mich gefühlt habe und wie das eine zum anderen kam. Wie der Sport krankhaft wurde, ich wieder heraus gekommen bin und beinahe mein Exfreund gestorben wäre.

Das alles gehört zur Geschichte, wie ich in die Sportsucht gerutscht bin.

Dieser Beitrag wird sehr emotional und ich darf damit einige Themen noch einmal anschauen und liebevoll annehmen - denn sie sind ein Teil von mir.


Ich freue mich sehr, wenn Du ein Kommentar hinterlässt. Vielleicht hast auch Du eine Geschichte, mit der Du andere inspirieren möchtest. Teile sie sehr gerne unter diesem Beitrag.


In diesem Beitrag:


8) FAZIT

 


 

Vorgeschichte und erste Anfänge



Ich kann mich noch genau an den Moment erinnern, in dem ich mich entschieden habe. "Nie wieder werde ich fett sein" war der entschlossene Gedanke.

Damals war 2013/2014, kurz vor meinem 18. Geburtstag.

Mein Selbstbewusstsein war noch nie das Beste (das ist ein Thema, das noch heilen darf) und in der Schule war ich auch immer etwas pummelig. Meine Eltern hatten sich scheiden lassen, als ich 13 war und meine damaligen Hobbies waren World of Warcraft, Fantasiefilme/-serien und Essen.


FUN FACT

Meine erste Beziehung war damals eine Fernbeziehung mit einem 16-jährigen, der durch meine Stimme dachte, ich wäre auch schon so alt - dabei war ich 12! Kennen gelernt haben wir uns über das online Rollenspiel "World of Warcraft" und zu einem Treffen kam es nie... Ja, damals war das eine Beziehung für mich.



Ich schweife ab, zurück zum Thema.

Also ich war in meiner Jugend immer etwas dicker und fühlte mich nie sehr wohl in meiner Haut.

2013 kam ich aus einer etwas schwierigen Beziehung, in der die Freizeitgestaltung aus Saufen, Essen, zocken und dem gemeinsamen Konsum von "legal highs".


An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, dass es enorm gefährlich ist diese zu konsumieren. Sie ändern deine Persönlichkeit, setzen Eigenschaften wie Paranoia und Aggressivität frei und können sogar zum Tod führen... Ich musste so etwas leider fast miterleben... Wäre mein Exfreund damals eine Minute später in ärztliche Obhut gekommen, hätte er es wahrscheinlich nicht überlebt.


Durch diesen Lebensstil habe ich natürlich ordentlich Gewicht zugelegt. Mittlerweile war ich mega unzufrieden mit der Beziehung, meinem Alltag und meinem Körper.

Ich kann mich noch genau an den Moment erinnern, als ich mich dazu entschieden habe abzunehmen und nie wieder fett zu werden. So stark sind die Kraft unserer Gedanken. Dieser war radikal und damit hatte ich mich auch entschlossen, die Beziehung zu beenden.



Meine Taktik im Kampf gegen die Waage


Also habe ich angefangen und durchgestartet. Mein Ziel: eine kleinere Zahl auf der Waage - Meine Taktik: Weniger essen! Der Klassiker.


Zum ersten Mal in meinem bisherigen Leben habe ich mich mit Ernährung beschäftigt und mich über die Makronährstoffe (Eiweiß, Fett, Kohlehydrate) über das Internet informiert.

Ohne Plan habe ich einfach weniger gegessen und begonnen mehr Sport zu treiben, denn ich wusste: weniger Essen, mehr Sport und zack: ich bin dünn!


Natürlich ist das Thema nicht so einfach wie es damals schien und wie ich später feststellen sollte.

Nach 3 Wochen habe ich die ersten Ergebnisse gesehen, ich habe Muskeln bekommen und wurde immer fitter. Bald schon habe ich 1-2 Stunden am Tag Sport getrieben.

Oft habe ich eine Mahlzeit gegen einen Abnehmshake getauscht und Fett gemieden, denn wie wir ja alle wissen ist Fett das Schlimmste auf der Welt! *Ironie ende*

Nach einiger Zeit wurden mir die Trainingseinheiten, die ich über YouTube gemacht habe, zu langweilig und anspruchslos.

Das waren Übungen mit eigenem Körpergewicht und HIIT ("High intensive intervall training") Einheiten.

Also habe ich mir online ein Studio gesucht. Ich war total begeistert, denn es war kein normales Fitnessstudio, sondern eins, das nur mit Kursen arbeitet.

Das heißt, dass immer ein Trainer mit dir trainiert, dich pusht, dein Training optimieren kann und dich auf z.B. Haltungsfehler hinweist.


Ich habe nach und nach alle Kurse entdeck und nach einem halben Jahr war das Studio mein zweites Zuhause. Bald habe ich mehrere Kurse hintereinander gemacht:

  • Kick'n'Fitboxing (Kickboxen mit einem kleinen Bootcamp zum Aufwärmen)

  • Bootcamp mit HIT Einheiten

  • Pump Fitness (Langhanteltraining - Kraft/Ausdauer)

  • Bodyweight Training

  • Kettlebelltraining (Kraft/Ausdauer)

  • Jumping Fitness


So kam es schnell dazu, dass ich 5 Tage die Woche mindestens 2 Stunden intensiv im Studio trainiert habe und am Wochenende zuhause auf meiner Matte mit YouTube.



In die Sucht und die Essstörung


Ziemlich genau zu meinem 18. Geburtstag bin ich dann in meine erste eigene Wohnung gezogen. Sie war wunderschön und ich hatte die Beste Vermieterin. Als ich krank war hat sie mir sogar Frühstück vorbei gebracht!


Meine damaligen Hobbies waren Sport treiben, Selfies machen, täglich mein Gewicht überprüfen und Kochen. Ja, mittlerweile hatte ich mich tiefer in das Thema Ernährung eingefuchst und verschiedene Methoden ausprobiert.


Da war zu Beginn das Meiden von Fett und wenig essen. Das war zwar effektiv, um nur Gewicht zu verlieren, aber nicht mehr dem Ziel entsprechend, denn ich wollte jetzt auch Muskeln aufbauen.


Also habe ich durch meine Trainer mit "Low-Carb" angefangen. Natürlich gibt es hier auch einiges zu beachten.

Ich habe gelernt, welche Lebensmittel ich essen kann und es gab schöne Rezepte, die mir den Start in das Thema und in den Morgen erleichterte.

"Meal prep" (Vorkochen) und regelmäßiges Kochen standen nun auf dem Tagesplan.

Generell war mein Tag relativ einfach strukturiert: Aufstehen, wiegen, kurzes Workout, Frühstücken und auf die Arbeit. Nach 8 Stunden Arbeit nach Hause, kurzer Snack, dann zum Training und nach dem Training Essen kochen für den nächsten Tag und Abend essen.

Natürlich war ich oft krank aber auf mein Training habe ich selbstverständlich nicht verzichtet.

Egal ob Erkältung oder Muskelkater: ich war im Training!


PALEO - die Urzeitdiät


Etwas später begann ich dann, mit Paleo - die Urzeitdiät.

Dabei besinnt man sich auf die Ernährung unserer Vorfahren. Es ist also eine Kombination aus "Clean Eating" und "Low-Carb". Es wird darauf geachtet, dass die Lebensmittel so frisch wie möglich und selbst ohne Geschmacksverstärker o.Ä. zubereitet werden.

Radikal habe ich alles aus meiner Küche verbannt, was Gluten, andere Arten von Zucker und künstliche Zusatzstoffe enthalten hat.


In der PALEO-Ernährung geht man in die "Ketose", das heißt, Du nimmst so wenig wie möglich an Kohlehydrate zu dir - nur komplexe aus z.B. Kartoffeln und Gemüse. Obst wird ebenfalls nicht konsumiert.


Es ist also eine Variante der "Low-Carb" Ernährung und eher für Fortgeschrittene.


Wie fange ich am Besten mit Low Carb an und was muss ich beachten?


Size Zero - von Cheat-Day zu Cheat-Day


Die Top-Informationsquelle heute ist keine geringere Plattform als "YouTube".

Und es ist auch klar warum: sie ist eine der größten Suchmaschinen im Internet.

Auch meine Informationen habe ich aus dem Internet geholt. Und dabei bin ich auf die "Size Zero"-Diät gestoßen.


Der Inhalt davon war es die ganze Woche lang clean zu essen, zu trainieren und im Kaloriendefizit zu sein.

Und am Wochenende: FRESSEN WAS DAS ZEUG HÄLT!


Bitte was?

Ja genau. Es wurde "Cheat-Day" genannt und beinhaltete, dass Du dir ALLES "gönnen" kannst, auf das Du die ganze Woche über "verzichten" musstest.

Klingt erst mal verlockend, oder?


Das ist es auch. Aber es lauert eine große Gefahr dahinter.

Der Cheat-Day und das vorangegangene, große Defizit an Kalorien sorgen dafür, dass Du diesen einen Tag in der Woche als Belohnung siehst und mit jedem Tag der Woche entgegenfieberst.

Du achtest nicht mehr bewusst auf deine Nahrung, sondern isst gesund, weil Du es musst, damit Du am (z.B.) Sonntag alles beliebige essen darfst.


Genau das ist das Gegenteil, das "Low-Carb" und "Clean-Eating" erreichen möchte: Das Bewusstsein für Lebensmittel und deren Inhalte zu erweitern.


Und so ist das auch mir passiert. Durch diese Ernährung habe ich mich an dem einen Tag der Woche ungut gefühlt.

Der Gedanke hinter der Fressorgie: Der Körper kann so viele Kalorien auf einmal gar nicht aufnehmen und somit nimmst Du auch nicht zu!

Macht irgendwo Sinn, ist aber schlecht für das Mindset und dein Essverhalten.


Die ganze Woche über habe ich überlegt, was ich am Cheat-Day alles essen kann und möchte. Und dann habe ich gegessen, bis ich nicht mehr konnte.

Mir war zum Kotzen und habe dann ein bisschen geschlafen. Als ich aufwachte, ging die Orgie weiter.

Der Tag bestand nur aus Essen und Fernsehen, egal wie schön das Wetter draußen auch war.


Am Ende hat diese Erfahrung Verhaltensmuster und die nächste Essstörung ausgelöst: Es kommt immer wieder vor, dass ich maßlos esse oder sogar Bier trinke.

Das ist ein Thema, das mir durchs Niederschreiben erst wirklich bewusst wird und an dem ich noch arbeiten darf.

Manchmal glaubt man eine Lösung gefunden zu haben, dabei löst das nur Schlimmeres aus.


Wie sich die Sucht anfühlte


Wie fühlt man sich denn jetzt eigentlich mit einer Sportsucht?

Die Sucht hat sich so bemerkbar gemacht, dass ich mir einen Tag ohne Sport nicht vorstellen konnte. Ich habe mir gesagt "Ich MUSS trainieren, und wenn es nur Bauch ist und nur eine Stunde!"


Mit dem Training im Kursstudio habe ich mich am Tag irgendwann nicht mehr zufrieden gegeben. Es hat sich nicht genug angefühlt.

Ich brauchte mehr!

Also habe ich auch vor der Arbeit und Berufsschule ein kurzes Training gemacht, das hat ca. 7 Minuten gedauert.

Und wenn ich Schule hatte, bin ich durch die ganze Stadt auf die andere Seite den steilen Berg hoch gelaufen. Dafür habe ich ca. 20 Minuten gebraucht!


Wie man mit weniger Kraftaufwand schneller laufen kann, das habe ich mir angeeignet und wurde so echt schnell!

Und wenn ich drohte, zu spät zum Training zu kommen, dann habe ich gemerkt, wie der Puls anstieg und ich beinahe panisch wurde.

Mir war in diesem Moment alles egal - ich wollte nur rechtzeitig beim Kurs sein.

Ich stand immer ganz weit vorne, damit ich mich besser im Spiegel kontrollieren konnte und damit mein Trainer auch sieht, wie meine Ausführung immer sauberer und perfekter wurde.


Ich hatte ein schlechtes Gewissen, wenn ich das Training ausfallen lies oder ein paar Minuten zu spät kam...


Durch den vergleichsweise geringen Kalorienwert, den ich täglich zu mir nahm, habe ich bald "Skinny Fat" bekommen - so nennt man das restliche Fett, das trotz Sport und gesunder Ernährung nicht verschwinden will.

Weil mein Körper ständig im Mangel war, hat er natürlich seine restlichen Reserven nicht abgeben wollen.


Trotz meines Untergewichts von damals 49kg habe ich mich unwohl gefühlt. Wenn ich im Bikini war, hatte ich das Gefühl von allen angestarrt zu werden. Das wurde ich, weil ich so dünn war! Nicht -wie ich dachte- zu dick!

Meine Selbstwahrnehmung war total gestört und ich fand immer wieder etwas an mir, das nicht gepasst hat.


Und durch die Existenz am Kalorienminimum habe ich zwei Jahre lang meine Periode nicht mehr bekommen. Ganz einfach weil mein Körper nicht die nötigen Ressourcen für ein Baby gehabt hätte.

Ich muss ehrlich gestehen, mich hat es wenig gestört, denn ich wollte zu dieser Zeit sowieso keine Kinder.

Ich erwähne das, damit deutlich wird, wie wenig ich meinem Körper tatsächlich gegeben habe aber gleichzeitig gedachte habe, dass ich gesund lebe!


Wenn ich etwas gegessen oder getrunken habe, in dem Zucker war, dann nur mit Ekel!

Es kamen sofort wieder die Gedanken an meinen Sport, damit das nicht ansetzt.

Jeden Tag musste ich mein Gewicht überprüfen und habe sogar angefangen, meine Maße zu dokumentieren.


Wie es endete


In diesen Jahren lebte ich als glücklicher Single, hatte aber immer wieder eine Beziehung. Leider ist durch unglückliche Umstände eine Ehe in die Brüche gegangen und ich war letztendlich der Auslöser.

Als es zwischen uns ernster wurde, habe ich öfter bei ihm übernachtet und irgendwann meinte er, dass ich zu wenig Zeit habe. - Klar, mein ganzer Alltag war meiner Körperoptimierung gewidmet.


Beim Frühstück gab es Brötchen und ganz andere Essgewohnheiten als es bei mir gab. Aber vor allem auch aus Höflichkeit habe ich einfach mitgemacht und mich immer wohler gefühlt.


Nach einiger Zeit bin ich bald gar nicht mehr zum Sport gegangen oder nur noch selten. Trotzdem habe ich mich immer wieder fit gehalten durch Fahrrad fahren, Yoga, etc.


Es hat mir sehr geholfen, denn dadurch ist ein neuer Anker in mein Leben getreten.

Mittlerweile haben wir eine wundervolle Tochter zusammen und wohnen seit 6 Jahren zusammen.

Es hat sich viel verändert und ich bin für jede Erfahrung dankbar. Ich durfte viel erleben und über mich selbst lernen.

Seit meiner Schwangerschaft 2020 habe ich 10kg zu viel auf den Rippen, aber meine Abenteuerlust und Spaß an Bewegung werde ich nie verlieren.


FAZIT


Ich habe gefrühstückt, ausgewogen gegessen und auf Zucker oder Alkohol verzichtet - trotzdem bin ich in eine Essstörung und Sportsucht gerutscht.

Jahre später kann ich einen anderen Blickwinkel einnehmen und weiß heute, warum das passiert ist.


Eine Zeit lang dachte ich, dass ich mich auf niemanden richtig verlassen kann - dass ich nur mich selbst habe. Durch den Umgang mit der Scheidung meiner Eltern in einem heiklen Alter, schlechten Erfahrungen in Beziehungen und ein geringes Selbstwertgefühl haben mich diesen Weg gehen lassen.


Der Sport wurde mein Anker. Denn ich habe etwas für mich und für meine Gesundheit getan (so der Gedanke damals). Leider habe ich nicht gemerkt, wie ich von ungesunden Einflüssen manipuliert wurde und sich somit meine Selbstwahrnehmung verzerrt hat.


Es gab nicht einmal Warnungen und Sorgen von Außen - und die wenigen wollte ich nicht hören. Niemand sieht im Training eine wirkliche Gefahr. Wenn man dünn ist, ist man gesund. Das ist ein Irrglaube.

Oft sieht man von Außen das volle Ausmaß nicht und man selbst redet sich alles schön. Natürlich ist ein trainierter, dünner Körper schön anzusehen. Nur sollte man die Realität nicht aus den Augen verlieren.


Wenn Du dich in meinem Beitrag wieder erkannt hast, dann empfehle ich dir hinzusehen.

Schau hin und finde heraus, durch was dieses Verhalten ausgelöst wird.

Ist es ein Anker für dich? Ein Schutzmechanismus? Möchtest Du Bestätigung von Außen? Welche Gefühle löst es aus, wenn Du darüber nachdenkst? Woher kennst Du diese Gefühle aus der Vergangenheit und was könnte der Auslöser gewesen sein?


Erst, wenn Du erkennst, durch welche Gefühle und Erfahrungen dieses Verhalten entstanden ist, wirst Du es auflösen können.

Wenn Du darüber reden möchtest stehe ich dir sehr gerne zur Verfügung.


Nutze auch gerne die Kommentarfunktion, um Gleichgesinnte, Leidensgenossen und andere Erfahrungen kennen zu lernen. Für Außenstehende ist dieses Gefühl oft unverständlich - wie bei jeder Essstörung und Sucht.

Mein "Skinny Fat" - hier fand ich mich zu dick!



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